Im September 2013 ist Bundestagswahl – und niemanden scheint es zu interessieren. Schon seit Wochen plätschert der Wahlkampf dahin und vielleicht sorgen ja die NSA-Enthüllungen für etwas Aufregung und Spannung. Doch wenn PR-Strategen Kandidat und Parteivorsitzenden ohne Schlips in einen Biergarten setzen, sind hier Konzepte aus den 80er und 90er Jahren am Werke und es bleibt kein Wunder, dass der digitale Wahlkampf so gar nicht in Schwung kommt. Der Medienlotse analysiert, woran es liegen kann.
1. Das Philipp-Rösler-Syndrom
Der FDP-Vorsitzende steht für eine neue, junge Generation von Politikern, die es besonders gut machen wollen und es deshalb auch schon sehr früh, sehr weit gebracht haben. Mitunter stößt dieser allgegenwärtige Perfektionismus aber an seine Grenzen (was dann nicht nur Comedy-Formate wie die „heute show“ weidlich ausschlachten). Rösler hat es perfektioniert, bei hochoffiziellen Statements ca. alle drei bis fünf Wörter eine bedeutungsschwangere Pause zu machen, um seinen Ausführungen Nachdruck zu verleihen. Vielleicht muss er das machen, um glaubhaft zu zeigen, nicht jugendlich-ungestüm zu sein. Im Resultat wirkt das aber ziemlich aufgesetzt und umso schlimmer, dass viele Politiker glauben, diesen Stil imitieren zu müssen.
Zwischenfazit: Politiker sind wenig authentisch. Vermeintliche Rhetoriktrends verprellen weite Teile der Bevölkerung, die zudem häufig eine ganz andere Sprache spricht.
2. Die digitale Diaspora
Politiker sind schon eine putzige Spezies. Melden sich bei Twitter an und glauben, dass nun jeder denkt, sie seien auch digital unterwegs. Dabei ist das genauso Nepp wie weiland Norbert Blüms „Die Renten sind sicher“. So kommentieren Doro Bär, Peter Altmaier und Sigmar Gabriel bei Twitter was die Schwarte kracht und gelten damit schon als dynamische Netzpolitiker. Und auch sonst tummeln sich viele Piraten- und Provinzpoltiker im Netz, um ihre mehr oder weniger wichtigen Meinungen kund zu tun. Was aber fehlt, ist die große Erzählung. Wo sind also die digitalen Kampagnen, die versuchen, programmatische Inhalte ans (Netz-) Volk zu bringen? Die SPD-Bundestagsfraktion versuchte sich schon vor einigen Monaten daran, ihre Ansätze zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf digital zu vermitteln. Herausgekommen ist eine zeitgenössisch hübsche Website mit immer noch zu viel Text und immerhin ein paar Infografiken, die aber wiederum nicht in soziale Netzwerke weitergeteilt werden können.
Zwischenfazit: Bevor deutsche Politiker und Parteien von einem Datenwahlkampf a la Obama träumen, müssen erst einmal die Hausaufgaben erledigt werden. Es würde schon reichen, wenn Straßenplakate mit Politiker-Konterfeis nicht als hippes Internet-Mem verkauft werden…
3. Die große Erzählung
Wer in Journalisten-Erinnerungen blättert, findet erstaunlich oft Berichte von der Bundestagswahl 1972. Schon als Jungen haben die Diekmänner der Republik entweder für oder gegen Willy Brandts Ostpolitik Wahlkampf gemacht und sind von Haustür zu Haustür gezogen, um Buttons zu verteilen. Davon ist heutzutage nichts mehr zu sehen, denn die große Erzählung wie die Wiedervereinigung oder die Westbindung fehlen einfach. Das neue Denken hat vermutlich mit Gerhard Schröder Einzug ins Kanzleramt gehalten und seitdem wird mit einem Auge auf die aktuellen Umfragewerte geschielt und mit einem anderen auf die Schlagzeilen der Bild-Zeitung. Natürlich ist es in unserer entertainment-geschwängerten Welt schwer, mit politischen Inhalten zu punkten, doch irgendwie versucht es auch niemand mehr.
Zwischenfazit: Politiker setzen auf das sichere Pferd (Umfragen) oder sitzen unangenehme Themen einfach aus. Aber warum noch nie ein Hinterbänkler mit einem Vierjahresplan (ok, historisch betrachtet nicht unbedingt der beste Name) in die neue Legislaturperiode startet und Woche um Woche auf allen Kanälen transmedial Auskunft über die Fortschritte und Entwicklungen in den drei wichtigsten Politikfeldern gibt, bleibt rätselhaft.
Fazit: Die politische Kommunikation muss weiter professionalisiert und dringend digitalisiert werden. Wichtige Potenziale werden liegengelassen und somit potenziell steigende Nichtwählerzahlen und Politikverdrossenheit in Kauf genommen. Dabei bieten gerade digitale Tools gute Möglichkeiten, kostengünstig Agenda-Setting zu betreiben und neben Fans und Followern auch parteiinterne Fürsprecher für die eigene Politik zu gewinnen.