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Wie die Olympischen Spiele 1972 nach München kamen

Vor 50 Jahren feierte die Olympische Bewegung in München die 20. Auflage ihrer Spiele. Diese waren der Ausdruck eines modernen und weltoffenen Deutschlands und legten gleichzeitig den Grundstein für den Aufstieg Münchens zu einer der wichtigsten Metropolen Europas. Architekt der Olympischen Spiele 1972 in München war der Sportfunktionär Willi Daume, der als IOC-Kenner genau wusste, wann und wie er die Bewerbung in nur sieben Monaten vorantreiben musste. 

Olympiagelände der Olympischen Spiele 1972
Das ikonische Olympiagelände in München

Die Vorgeschichte

Nachdem Deutschland als Urheber des 2. Weltkrieges noch nicht an den Spielen 1948 teilnehmen durfte, gelang es den Westdeutschen aufgrund ihrer exzellenten Beziehungen ins Internationale Olympische Komitee (IOC), schon vier Jahre später in Helsinki die Teilnahmeberechtigung zu erhalten. Aber bereits 1956 wurde die Freude durch eine Entscheidung von IOC-Präsident Avery Brundage getrübt, der – in völliger Verkennung der realpolitischen Lage – verfügte, dass Ost- und Westdeutschland künftig mit einer gemeinsamen olympischen Mannschaft anzutreten haben. 

Dies führte für den DSB- und NOK-Präsidenten Willi Daume zu fortwährenden Verwicklungen: Einerseits musste er der Regierung Adenauer nun erläutern, warum in den olympischen Stadien eine schwarz-rot-goldene Fahne mit Olympiaringen hängt und statt der Nationalhymne nach Wettkampferfolgen Beethovens “Ode an die Freude” erklingt. Darüber hinaus durfte er sich mit dem ostdeutschen Nationalen Olympische Komitee (NOK) in quälenden, politisch aufgeladenen Sitzungen jahrelang über die Normierungsmodalitäten für die Olympiamannschaft auseinandersetzen. 

Olympiastadion München. Zeltdach.
Zeltdachkonstruktion im Münchener Olympiapark

In den 1950er Jahren wurde der Weg zum so genannten „gesamtdeutschen Team“ immer schwieriger: Die BRD verbot DDR-Hymne und Fahne im Inland – was bei deutsch-deutschen Begegnungen schon mal zu Polizeieinsätzen führte und das IOC entsprechend wiederholt verstimmte. Andererseits überholte die DDR ihren westlichen Nachbarn schon bald sportlich und sorgte geschickt dafür, mehr Ostdeutsche im Team zu platzieren, was mit dem prestigeträchtigen Posten des Chef de mission während der Zeit der Spiele belohnt wurde. 

Mit dem Mauerbau 1961 vollzog sich dann eine weitere Zäsur in den öffentlichen und sportlichen Beziehungen zwischen Ost und West, die nun völlig zum Erliegen kamen. Interessanterweise war es nun Willi Daume, der sich an die gesamtdeutsche Mannschaft klammerte und alles in Bewegung setzte “die Teilung zu lindern” und deshalb auch weiterhin ein deutsch-deutsches Team aufgestellt sehen wollte. Damit zeigte er sich als Zeitgenosse Willy Brandts, der später die Formel „Wandel durch Annäherung“ präge sollte. Im Sport wurden allerdings die West- von den Ostdeutschen geprägt  – nicht umgekehrt.

Willi Daume gemeinsam mit dem gesamtdeutschen Team bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom
Willi Daume (1. Reihe, 2. von links) mit dem gesamtdeutschen Olympiateam 1960 in Rom

Nach den Spielen 1964 in Tokio endete bei der IOC-Session am 8. Oktober 1965 in Madrid jedoch die gesamtdeutsche Olympiageschichte. Und genau zu diesem Zeitpunkt, den Daume als große persönliche Niederlage und auch als Tragödie empfand, entwickelte er die Idee von Olympischen Spielen in Deutschland – und zwar in München! 

Die Olympischen Spiele 1972 kommen nach München

Heute kaum vorstellbar, aber innerhalb von nur sieben Monaten holte Daume die Olympischen Spiele 1972 im Alleingang nach Deutschland. Nachdem die ersten Gespräche bereits Ende Oktober 1965 mit Münchens Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel erfolgreich verlaufen waren, konnte Daume nach der Niederlage in Madrid auf Wiedergutmachung des IOC hoffen, welches schon auf seiner nächsten Session im April 1966 die Spiele nach München vergab – kein Vergleich zum heutigen Procedere mit Evaluierungskommissionen und Referenden.

Ausschlaggebend für die Wahl Münchens war das Vorhaben Daumes, anstelle des schon in den 1960er Jahren aufkommenden olympischen Gigantismus einem kleineren und intimeren Rahmen für die Spiele zu wählen. Darüber hinaus entwarf er ein für die IOC-Mitglieder überzeugendes Konzept, wie während der Wettkämpfe Körper und Geist im Sinne Coubertins zu einer neuen Verbindung kommen könnten. Insgeheim erhoffte Daume, durch die Vergabe der Spiele nach Deutschland gleich auf mehreren Ebenen Synergieeffekte erzielen zu können: Zum einen wollte er der Weltöffentlichkeit ein neues Deutschland präsentieren, welches sich nach dem Krieg erfolgreich demokratisch entwickelt hatte, zum anderen wollte er gegenüber der westdeutschen Öffentlichkeit endlich beweisen, dass der Sport kreative und gestaltende Impulse ausstrahlen könne.

Sitze im Olympiastadion München während der Olympischen Spiele 1972.
Sitzplätze im Olympiastadion München

Mit Blick auf das große Ziel „1972“ konnte Daume zudem einige seiner sportpolitischen Herausforderungen abschließen: Die Bundesregierung stieg im Vorfeld der Spiele nun auch offiziell als Geldgeber in die Sportförderung ein und mit der Sporthilfe wurden wesentliche Grundelemente der heutigen Spitzensportförderung etabliert. Zudem spielte ihm der Regierungswechsel von Kiesinger zu Brandt in die Karten und es war letztlich kein Problem mehr, im Münchener Olympiastadion die DDR-Fahne zu zeigen und die DDR-Hymne zu spielen. 

Daume Einfluss auf die Olympischen Spiele 1972 in München

Als Chef des Organisationskomitees – und seit 1970 von der belastenden Rolle als Doppelpräsident von DSB und NOK befreit – konnte Daume seine gesamte Persönlichkeit in die Vorbereitung der Spiele einbringen. Dies führte zu einer kreativen Explosion – bei Design und Gestaltung; Kunst, Musik und Theater. Die vom OK-Präsidenten initiierten und von Otl Aicher gestalteten Piktogramme blieben bis weit in die 1980er Jahre im Vorspann der ARD- Sportschau und noch darüber hinaus präsent. Vor Ort halfen sie, die Sprachbarrieren der internationalen Besucher zu überwinden. Während seiner Zeit als OK-Chef in München verpasste Daume auch keine Premiere der Kammerspiele, auch lud er häufig Künstler und Musiker in seine eigens dafür ausgebaute repräsentative Villa nach Feldafing ein, um Hauskonzerte oder Lesungen zu veranstalten. 

Olympiapark während der Olympischen Spiele 1972 (Sonderbriefmarken)
Sonderbriefmarken der Bundespost zu den Olympischen Spielen 1972

Daume war für seine Mitarbeiter allerdings kein einfacher Chef. Er blieb meist in seinem Büro, arbeitete dort alleine und wollte nicht durch Nachfragen oder sonstige Dinge gestört werden. Die Beschäftigten im Münchener OK, von denen er eine hohe Flexibilität in punkto Arbeitszeit und Selbständigkeit erwartete, mussten stets den richtigen Moment abpassen, um ihn überhaupt ansprechen zu können. Es konnte auch vorkommen, dass ihm mitten in der Nacht wichtige Dinge einfielen und er sein OK-Team telefonisch kontaktierte. 

Heute erinnert nur noch ein Platz im Olympiapark an Willi Daume und seine Verdienste für Olympia 1972 in München. Dabei könnte die nationale und internationale Sportelite um den neu gewählten DOSB-Präsidenten Thomas Weikert sowie IOC-Präsident Thomas Bach aktuell eine Rückbesinnung auf Daume gut vertragen, denn nach seiner Konzeption sollte Sport immer integraler Bestandteil der Gesellschaft sein, inklusiv auftreten und auf den Breitensport bezogen bleiben. Seine kulturelle Orientierung findet auch heute noch Nachhall, und zwar im angedachten Festprogramm der Stadt München zum 50.Jahrestag der Olympischen Spiele mit Kunst und Sport, – es könnte direkt aus der Feder des Sportfunktionärs stammen.

Dieser Beitrag basiert auf dem Buch: Rode, Jan C.: Willi Daume und und die Entwicklung des Sports in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1945 und 1970. Göttingen 2010.

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