Schon vor einigen Jahren hatte ich Gelegenheit, mir die AR-Anwendung eines Startups aus Sachsen-Anhalt näher anzuschauen und dessen Einsatz im Sportmarketing zu prüfen. Seitdem war die spannende Technologie ein wenig aus meinem Fokus geraten. Grund genug für den Medienlotsen, bei der Eventreihe „WTFFTW“ des Betahauses Hamburg vorbeizuschauen, um den Hype wieder auf die Spur zu kommen.
Schnell wurde klar, dass AR/VR mehr als nur eine temporäre Erscheinung sind. Erst vor ein paar Tagen gab der gebeutelte Volkswagen-Konzern bekannt, in Forschung und Entwicklung künftig verstärkt auf ebenjene Technologien zu setzen. „Das macht auch mehr Sinn, als zehn Prototypen zu bauen“, so Camillo Stark, Co-Founder und CEO von appear2media auf dem von Wolfgang Wopperer hervorragend moderierten Abend. Dennoch ist es wichtig, beide Technologien nicht in einen Topf zu werfen: VR zeigt mir meine oder eine andere Welt, so dass ich beispielsweise Möbel im Raum verschieben oder Architekturvorhaben überprüfen kann. AR ist stattdessen eher ein Add-On zu realen Welt, was natürlich auch die Gefahr des Informations-Overloads heraufbeschwört, wenn in zehn oder 15 Jahren interaktive Displays bei meinem Weg durch die Stadt hyperaktiv werden und mich mit Werbung und Informationen zuschütten.
Dennoch überwiegen bei VR die faszinierenden Möglichkeiten. Wer noch nie im Louvre war, es aber unbedingt mal sehen wollte, kann das schon in ein paar Jahren vom heimischen Sofa aus tun – vorausgesetzt, auch in Deutschland werden endlich Glasfaserkabel verlegt und nicht nur alte Kupferleitungen von der Telekom aufgebohrt. Vielleicht wäre die Hamburger Olympiabewerbung auch anders verlaufen, wenn es statt eines Masterplans eine Mastersimulation des neuen Stadtteils im Hafen gegeben hätte. Aber eigentlich sind mit rein menschlicher Vorstellungskraft die neuen technischen Möglichkeiten kaum zu überblicken, wie Frank Steinicke, Professor für Informatik an der Universität Hamburg für Human Computer Interaction (HCI), in seinem Vortrag verdeutlichte: In nur 15 Jahren sind unsere Gadgets 1024x leistungsfähiger als heute. Etwas klarer wird die Entwicklung, wenn wir uns an die Handys aus dem Jahr 2000 erinnerten. „Damals hatten alle ein Nokia, heute Smartphones. Aber wie telefonieren oder simsen damit nicht um den Faktor 1024 mehr, sondern schauen Filme, spielen Games und nutzen Facetime“, so Steinicke .
Marken und Anbieter aus den unterschiedlichen Branchen werden schon bald dafür sorgen, dass AR aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sein wird, dennoch erkennt Oliver Rößling, Chief Reality Officer (CRO) opusVR und Mitglied der Geschäftsleitung / CDO Absolute Software GmbH noch keinen klaren Spitzenreiter: „Der Business Case ist gemacht, wer am meisten Geld verdient, wird sich noch zeigen.“ Steinicke hingegen sieht die üblichen Verdächtigen vorne: Facebook, weil das Thema Kommunikation immer wichtiger wird, auch haben Games und Entertainment-Angebote insgesamt die Nutzung neuer Technologien/Geräte vorangetrieben. Als Medienlotse glaube ich jedoch auch an die Kraft des Sportes. Wenn 70.000 Menschen ein Finale in einem Stadion verfolgen, aber Millionen weltweit vor dem TV sitzen, ist das Potenzial für spannende Anwendungen im Bereich AR/VR gegeben. Doch schon in ein paar Jahren kann der ganze Spaß von den Neurowissenschaften schon wieder überholt werden. Schon jetzt schaffen es Forscher auf unterschiedlichen Kontinenten, Gehirne zu stimulieren. Wer weiß, vielleicht brauchen wir ab 2040 keine smarte Kontaktlinse, sondern können uns direkt in das Gehirn des Fallschirmsprunges einwählen, um den ultimativen Kick zu bekommen…