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Vielen Dank für nichts, Ultrà!

Der vergangene Freitag war für mich und viele andere 96-Fans eine ganz, ganz große Nummer. Nach fast zehn Jahren sollte es endlich mal wieder gegen die Erzrivalen vom Zonenrand gehen. Auch die Presse hatte davon Wind bekommen und titelte in den Tagen vor dem Derby wahlweise vom „Hass-Duell“ oder erging sich in belanglosen Berichten über umherstreunende Schweine und Holzkreuze am Straßenrand. Zudem taten die Offiziellen beider Vereine alles dafür, die Wogen im Vorfeld zu glätten. Und auch einige Künstler reichten sich im Vorfeld demonstrativdie Hand. Wie man hörte, hatte sogar Präsident Martin „St.“ Kind das seit der vergangenen Saison bestehende Choreographieverbot eigeninitiativ aufgehoben. Eigentlich stand also einer stimmungsvollen Partie nichts im Wege, aber das es anders kam, lag nicht nur an der blutleeren Vorstellung der Roten, sondern auch am selbstherrlichen Gebaren der UH im Nord-Oberrang.

Was schön aussieht, ist nicht immer unbedingt intelligent. Ausnahme: Transpi gegen Faschos.

Man mag mich konservativ schimpfen, aber früher™ wurden Bengalos oder Pyrotechnik zu Spielbeginn, bei Toren und nach Ende eines siegreichen Spiels gezündet und nicht nahezu 90 Minuten lang. Schon während des Spiels habe ich mich gefragt, wie hoch wohl die Strafe sein werde, die der DFB dem Verein für diese tolle Ego-Show aufbrummen wird. Es würde mich auch nicht wundern, wenn irgendwann mal ein Teilausschluss für die Nordkurve beschlossen wird. Und wäre das noch nicht alles genug, wird nun Fanforscher Pilz landauf, landab damit zitiert, dass der Freitagabend  von Hannover wohl ein weiterer Sargnagel für die Fankultur in Deutschland war. Wer in den vergangenen Jahren nicht den Kopf in den Sand gesteckt hat, wird wissen, gegen wen die leidige Pyrodiskussion in Wahrheit gerichtet ist: nämlich gegen die Stehplätze (und nicht die Möchtegerns von Ultra).

Das hat weder einen politischen, noch ideologischen, sondern einfach einen monetären Hintergrund. Die Bundesliga hat zwar im Vergleich zu allen anderen Topligen in Europa den höchsten Zuschauerschnitt, doch hinkt bei den Einnahmen pro Besucher deutlich hinterher. Die Pole-Position halten auch hier die Engländer besetzt, die seit knapp 20 Jahren aufgrund politischer Entscheidungen die Stehplätze aus den Stadien verbannt und damit ihre Fankultur aufs Abstellgleis geschickt haben. Schon jetzt fehlt in England nahezu eine Generation von jungen Zuschauern – alte Säcke wohin man blickt. In Deutschland zeigt sich aufgrund der Preisstruktur noch ein völlig anderes Bild  und in den Hintertorkurven tummeln sich viele Jugendliche und andere Milchgesichter. Das könnte auch noch eine Weile so bleiben, denn volle Stadien sind für die Vereine das beste Argument in Sponsorenverhandlungen.

Doch das ist mit Ultrà nicht zu machen. Stattdessen stehen immer wieder egozentrische Themen im Mittelpunkt, die oft und sehr geschickt zum Lackmustest für die gesamte jeweilige Fanszene ausgerufen werden. Ob nun Ausgesperrte für immer sonstwo bleiben oder 12:12 die Stimmung auf das Niveau des Schlesiertreffens zieht – Ultrà tut damit den Normalos überhaupt keinen Gefallen. Die Pyroshow von Hannover war nichts anderes als der permanent gereckte Effe-Finger in Richtung Vereinsoffiziellen und anderen Fans (vielleicht war die Einlage auch als große Abschiedsvorstellung geplant, wer weiß). Mit ziemlicher Sicherheit wird Hannover 96 nun dem Dortmunder Weg folgen – die Westfalen hatten nach den Ausschreitungen bei ihrem letzten Derby gegen Schalke einige Fangruppen bis zum Saisonende mit Sanktionen – bsp. bei Tickets – belegt. Aber mit einem etwaigen Rauswurf von Ultrà sind die Stehplätze noch längst nicht gesichert und auch keine Pyrodiskussion beendet.

Die Situation ist mittlerweile dermaßen verfahren, dass die Vereinsoberen und Verbandsoffiziellen von den Normalos unter den Zuschauern nicht weniger als eine offene Ablehnung aller Gewaltakte (Pyro, Hass-Gesänge, Hauereien) fordert. Ob es da mit einem bisschen Pfeifen getan ist und etwaige körperliche Auseinandersetzungen auch mit einer Stadionverbots-Amnestie belegt werden, wage ich zu bezweifeln. Gleichzeitig bietet das Ultrà-Vakuum auch eine Chance, die Fankultur wieder zurück zu den Wurzeln zu führen. Ich persönlich muss nicht 90 Minuten durchsingen, wenn das Spiel Scheiße ist. Bei passendem Spielverlauf bin ich aber auch schon mehr als einmal mit heiserer Stimme aus dem Block zurückgekehrt. Um wieder dorthin zu kommen, müssten die Normalos aber ihre Konsumentenhaltung (und Rolle als Zaungäste, in der sie von Ultrà gedrängt wurden) aufgeben und selber mal den Mund aufmachen.

Andererseits könnte ein Ausschluss von Ultrà in Zeiten, in denen Nazis wieder aktiver in Stadien werden, ein herber Rückschlag für die DFL-Vermarktungsphantasien sein. Wenn nämlicher wieder deutlich lautere Affengeräusche und Heil-Gesänge durch das weite Rund wabern, wird sich vielleicht der ein oder andere Spieler oder Sponsor überlegen, ob er nun ausgerechnet in Deutschland kicken bzw. investieren möchte. Von daher sind die Normalos noch mal mehr gefordert, nicht einfach wie das Vieh zur Schlachtbank zu laufen, sondern sich klar zu positionieren. Einen Großteil des Kredits hat Ultrà durch seine immer wieder kindischen Aktionen jedoch längst verspielt. Warum sollte ein Sitzplatzbesucher also Solidarität mit den Stehplätzen zeigen, wenn von dort immer wieder „Gewalt“ ausgeht (oder er sich mit den propagierten Zielen nicht in Einklang sieht)?

Ich persönlich brauche keine Stehplätze mehr, um mein Fandasein ausleben zu könne. Allerdings waren die Stehplätze ein wichtiges Refugium in meiner Fansozialisation – denn nur hier konnte auch der Schüler mit Taschengeld auch ein preisgünstiges Ticket bekommen und trotzdem bei wichtigen Spielen dabei sein. Fällt dieses Vorfeld jedoch aufgrund der Ultrà-Manie weg, dürften uns in der Tat englische Verhältnisse auf den Rängen – und immense Langeweile auf dem Platz drohen.

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