Suche
Suche Menü

Brauchen wir noch Tageszeitungen? Nein!

Um es kurz zu machen: Nein! Zwar ist es nicht sonderlich wissenschaftlich, aber wenn ich meinen Konsum von News, Artikeln und Videos analysiere, muss ich als Medienlotse konstatieren, dass Tageszeitungen in diesem Kosmos kaum noch eine Rolle spielen. Wenn überhaupt – greife ich im Sommer zu einer zeitvertreibenden Boulevard-Postille oder Freitags mal zur SZ – aber nicht wegen der Meldungen von gestern, sondern wegen des Sport-Teils, der Seite 3 und dem hervorragenden Magazin. Hier liegt auch genau die Antwort, wie die Zukunft des Journalismus aussehen kann. Doch bevor wir uns der Zukunft widmen, hilft ein Blick in die Vergangenheit, die systemischen Schwächen der Tageszeitungen offenzulegen.

1. Nicht mit der Zeit gehen
Beim Absolvieren meines ersten Schulpraktikums in der Redaktion der größten Tageszeitung eines niedersächsischen Landkreises fiel mir eine wunderliche Publikation in die Hände. Es handelte sich um die Festschrift zum 125. Geburtstag des Verlages und bot neben wertvollem Material für meinen Praktikumsbericht auch einige Artikel über die Zukunft des Journalismus. Dort stand u.a. geschrieben, dass Verlage auf allen Kanälen die Informationen zu ihren Lesern bringen müssten, nicht mehr nur auf Papier. Heilsbringer sollte damals das TV sein und die Autoren träumten von einem eigenen News-Fenster im Vorabendprogramm. Nun ist das deutsche Rundfunkrecht nicht gerade offen für Newcomer und der Energieversorger EWE gab erst kürzlich das Aus für sein Lokal-TV bekannt, doch hätten sich die Entscheider in deutschen Verlagsetagen nur ein wenig für die Zukunft ihres eigenen Genres interessiert, sähe die Welt heute vielleicht anders aus. Wo sind denn die Angebote von Lokalzeitungen in YouTube oder auf Twitter?

2. Qualität geht zulasten der Quantität
Mit dem Aufkommen des Internets und Blogs, die sich allen möglichen Themen widmeten – vom Lokalsport bis hin zur Trinkwasserqualität – erwuchsen zunächst den Journalisten in den Redaktionen neue Konkurrenz. Anfangs wurde diese noch als Amateure abgestempelt, aber so leicht war die Sache dann doch nicht. Blogger sind unabhängig und können im Zweifelsfall auf Werbekunden pfeifen, die Redaktionen nicht. Als diese mit den immer schneller folgenden Sparrunden weiter ausgedünnt wurden, war auf einmal auch der Qualitätsvorsprung gegenüber Blogs und Twitter verloren. Mittlerweile hat jede große Zeitung, die etwas auf sich hält, auch eine Website. Dort wird der noch leidlich interessante Lokal-Content oftmals hinter Paywalls versteckt und bei den „Breaking News“ im Chor mitgesungen. Unbewusst bewusst wurden Tageszeitungen somit aber beliebig – oder warum sollten den Kleingärtner plötzlich die Börsenkurse in Frankfurt, London und Tokio interessieren?

3. Keine Relevanz und Beliebigkeit
Derart sturmreif geschossen, haben Lokal- und Tageszeitungen kaum noch Selbstvertrauen. Internet? Können die anderen besser. Lokal? Machen die Blogger schneller und persönlicher. Wenn dann auch noch PR-Texte Eingang in die Zeitung finden oder aus Mangel an Fingerspitzengefühl oder meinetwegen auch Böswilligkeit Polizeimeldungen 1:1 übernommen werden, muss man sich eigentlich schon fragen, für wen Tageszeitungen eigentlich da sein sollen. Jahrhundertelang waren Zeitungen zuallererst Freunde der Werbetreibenden und das Wort der Verleger war Gesetz. Jetzt ist es aber an der Zeit, sich auf die Leser einzustellen. Das haben viele immer noch nicht geschafft. Und wenn Tageszeitungen nicht bald eine Antwort darauf einfällt, warum ich die Meldungen von gestern – die ich allesamt schon im Netz gelesen habe – nochmal auf Papier für Geld lesen soll, kann die Zukunft nicht mehr so ignorant gestaltet werden wie bisher.

 

Doch allem Ende wohnt immer auch ein Anfang inne, und so können wir uns nun der Zukunft des Journalismus widmen. Ob darin allerdings auch die Tageszeitungen einen Platz finden werden, vermag der Medienlotse nicht zu prognostizieren. Sicher ist, dass es bereits neue Modelle von Journalisten gibt, die funktionieren.

1. Schlagwort muss gefüllt werden
Eine Google-Suche zur „Zukunft des Journalismus“ bringt 3,5 Millionen Suchergebnisse. Und auch mein Kunde „Next Media“ hat vor ca. einem halben Jahr zwei junge Journalistinnen für Antworten auf genau diese Frage um dem halben Erdball gejagt. Doch was ist bisher von der Zukunft des Journalismus zu sehen? Wenig, denn es wird eher geredet, als angepackt. Aber vielleicht beginnt diese Zukunft auch gar nicht mit einem „Big Bang“, wie sich viele das vielleicht wünschen würden. Vielleicht haben wir es eher mit einer schleichenden Veränderung, einer langsamen Transformation zu tun, in der die SZ sich mit „Die Recherche“ an neue Möglichkeiten der Blatt-Leser-Interaktion versucht und der Spiegel eine „Multistory“ zu #tag2020 ausprobiert.

2. Alt bekannt, aber schwierig: zur Marke werden
Tageszeitungen müssen wieder zu echten Marken werden, um in Zukunft überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Zum „Markensein“ gehört aber nicht, einen Shop wie die Zeit zu haben oder wie das Hamburger Abendblatt Leserreisen anzubieten. Zu echten Marken werden Tageszeitungen nur, wenn sie ihren Redaktionen und Journalisten ein Gesicht geben, die sich in Themen festbeißen, die – wie bei der SZ –  Rechercheaufträge ihrer Leser nachgehen und auf allen Kanälen publizieren. Einzelkämpfern ohne Verlagsballast fällt das deutlich leichter. Jens Weinreich, der sich auf die kritische Berichterstattung zu FIFA und IOC spezialisiert hat, zeigt, dass auch mit eng zugeschnittenen Themen Leser erreicht werden – ob nun im eigenen Blog, im Auftrag von Tageszeitungen oder durch die Veröffentlichung und Finanzierung von Dossiers mittels Crowdfunding.

3. Eigene Stimme finden
Die Diskussionen um die Zukunft des Journalismus haben aber noch einen ganz anderen Effekt: Der Nachwuchs wird schon gleich zu Beginn einer Gehirnwäsche unterzogen und auf Systemkonformität normiert. Wer als Jungredakteur den Auftrag hat, für Google Analytics ordentlich Klicks zu generieren, macht das, was alle anderen auch machen: Katzenbilder und andere Klickstrecken. Das hat aber nicht mehr unbedingt was mit Journalismus zu tun. Wichtig ist, die eigene Stimme zu finden. Und vielleicht hat die Öffentlichkeit auch keine Lust mehr auf die alten Marken, sondern verlangt nach neuen Stimmen. Warum sollte ausgerechnet der Journalismus vom Jugendwahn verschont bleiben? Schon jetzt stehen in Hamburg in mehreren Stadtteilen interessante Online-Medien – denen noch ein wenig Spin und Zuspitzung in den oftmals noch zu braven Beiträgen fehlt – kurz vor dem Zusammenschluss zu einem hyperlokalen journalistischen Netzwerk, welches sicherlich schnell Werberelevanz durch die kombinierte Reichweite bekommen wird.

Fazit:
Tageszeitungen müssen sich lang strecken und viel Gehirnschmalz investieren, um noch eine Zukunft zu haben. Etwas rosiger sieht es bei den Magazinen aus, die wie der Spiegel immer mal wieder große Scoops wie Wikileaks oder Snowden in Zusammenarbeit mit anderen internationalen Zeitungen umsetzen können.

Der Medienlotse gibt mit Impulsvorträgen und Digital-Kuratierungen einen jeweils den Vorkenntnissen angepassten Einstieg in die spannende digitale Welt des 21. Jahrhunderts! Hier geht es zum Kontakt

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.