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Hat in Hamburg wirklich jede/r die gleichen Chancen?

Obwohl ich Geschichte und Politische Wissenschaften studiert habe, war ich mir nie ganz sicher, ob ich hier im Blog auch Stellung zu politischen Themen wie Vorratsdatenspeicherung, #Aufschrei oder die ausufernde staatliche Gängelung von Fußball-Fans beziehen sollte. In der vergangenen Woche flatterte mir via Twitter aber die Rede von Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz vor dem Überseeclub ins Haus. Dort behauptet der Politiker, dass die besten Jahre Hamburgs noch kommen würden. 

Getreu dem schon vor Jahren vom CDU-Senat entwickelten Konzept der „Wachsenden Stadt“ glaubt Scholz, dass bis 2030 knapp zwei Millionen Menschen in der Hansestadt leben werden. Dies dürfte auf weite Bereiche des öffentlichen Lebens – Verfügbarkeit von Wohnraum, Miethöhen, Verkehr und Infrastruktur – größte Auswirkungen haben, sollte nach bisher geltenden Rezepten weiter verfahren werden. Doch wie es scheint, hat der oft auch als „Scholzomat“ verspottete SPD-Politiker genau das vor.

So lobt er beispielsweise die Bahnverbindung Hamburg-Berlin, die „schon heute Linienflüge überflüssig“ mache. Regelmäßige Pendler zwischen beiden Metropolen können jedoch ein Lied von der schlechten Infrastruktur und dem nahezu dauerhaft fehlenden 3G-Empfang ein Lied singen. Dabei zeigt die Strecke Hannover-Berlin, was wirklich geht. Aber wie soll Hamburg sich auch für einen Netzausbau stark machen, wenn fast die gesamte Wertschöpfung städtischer Töchter wie die SAGA zum Bau der Elbphilharmonie aufgewendet wird?

Scholz wäre allerdings kein echter Sozialdemokrat, wenn er in seiner Rede nicht auch das alte Lied von den Aufstiegschancen singen würde, eine Art deutschen Remix der amerikanischen Reise vom Tellerwäscher zum Millionär: „Alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt brauchen das Versprechen, dass sich ihre Anstrengung lohnt, dass sie ihr Leben verbessern können und dass wir niemanden am Wegesrand zurücklassen.“ Dieses Mantra gehört schon seit den 1960er Jahren zum Grundwortschatz bundesrepublikanischer Politiker jeglicher Couleur, ist jedoch nicht erst seit dem PISA-Schock ausgehöhlt.

Heutzutage reichen nicht mal mehr Abitur, Studium, Auslandsaufenthalt und Praktika, um eine adäquate Beschäftigung zu finden, ohne ausgebeutet zu werden oder Scharlatanen aufzusitzen, die keine Löhne zahlen und sich dann durch diverse Umzüge vor dem schlaffen Arm des Gesetzes verstecken. Schon jetzt heißt unsere Stadt längst nicht alle Neuankömmlinge als gleichwertige Bürgerinnen und  Bürger willkommen, wie die ständigen Aufregungen um Abschiebungen (selbst an den Weihnachtsfeiertagen!) von leistungswilligen und integrierten Jugendlichen zeigen. Auch das Volksbegehren zur Schulreform hat gezeigt, dass die Stadt immer wieder anfällig für konservative Auswüchse (Remember Schill?) ist.

Scholz verspricht ebenfalls, dass Hamburg 2030 grüner sein werde. Doch wie will die ehemalige Umwelthauptstadt das überhaupt schaffen? Aufforstungen am Stadtrand nutzen den Bewohnern gar nichts. Viel spannender wäre es, endlich das laute und gefährliche Kopfsteinpflaster auf allen Straßen zu verbannen und in einem innerstädtischen Radius von 5km alle Verbrennungsmotoren zu verbieten und stattdessen einen Mix aus Stadtrad-, Carsharing- und E-Mobil-Stationen anzubieten. Erst dann wäre Hamburg wirklich eine „smart City“. Ein starres Festhalten am alten Dreiklang Hafen – Profite – Handel schickt Hamburg jedoch auf die billigen Plätze im Konzert der großen und urbanen Metropolen wie Amsterdam, Kopenhagen, Paris etc.

Vernünftige und vorausschauende Politik wäre es, nicht paternalistisch den Sprung über die Elbe nach Wilhelmsburg oder Hamm, Horn und Rothenburgsort vorzubeten, sondern den Willen der Wählerschaft umzusetzen. So habe ich Politik und Demokratie eigentlich immer verstanden (vermutlich ein fundamentaler Denkfehler meinerseits). Von daher ist es verwunderlich, dass Scholz in seiner Rede wieder mit stolz geschwellter Brust von „den deutschen Hauptsitzen von XING, Google und Facebook“ in Hamburg sprach, die seit Jahr und Tag geforderte „Internet-Insel“ jedoch mit keinem Wort erwähnte.

Immerhin muss dem Bürgermeister zugutegehalten werden, dass er sich überhaupt mit der Zukunft beschäftigt, denn 2030 wird und will Olaf Scholz Hamburg vermutlich nicht regieren. Viele seiner Politikkollegen schielen nur auf die nächste Wiederwahl und scheuen sich, schwammige Zukunftskonzepte vom Zaun zu brechen. Wenn mit der Rede vor dem Überseeclub und diesem kleinen Beitrag eine Diskussion um die Zukunft unserer Stadt endlich öffentlichkeitswirksam in Gang kommt, soll es mir recht sein.

Wie sieht euer/ihr/dein Hamburg 2030 aus?

 

Bildnachweis: flickr.com SPD-Schleswig-Holstein

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