In wenigen Tagen ist es soweit – Facebook stellt für seine knapp 500 Millionen Nutzer weltweit neue Funktionen bereit. Hauptneuerung ist die Timeline, die zu einer Art Facebook-Tagebuch werden soll. Nutzer können nun erstmals auf einen Blick sehen, wann sie welche Inhalte bei Facebook öffentlich gemacht haben. Doch ist wirklich alles Gold, was bei den technischen und sozialen Neuerungen in den vergangenen Jahren so glänzte? Der Medienlotse hat einmal genauer nachgeschaut.
Gadgetnight-Erfinder Sven Wiesner von beesocial hat in seinem Blog einen lesenswerten Überblick über die Entwicklung und Funktionsweise der neuen Timeline geschrieben. Dabei ist mir vor allem ein Satz ins Auge gesprungen: „Alle reden vom Fortschritt, aber das Internet entwickelt sich zurück“. Das wäre sehr schlimm, denn noch immer nicht sind alle überhaupt im Web 2.0 angekommen. In der vergangenen Woche träumte der stellvertretende Chefredakteur des Hamburger Abendblattes, Matthias Iken, immer noch davon, in Zukunft mit Paid Content gute Geschäfte zu machen.
Dabei ist die Gefahr allerdings nicht gerade gering, dass das Internet sein Innovations- und Freiheitspotenzial zu verlieren droht. Und es sind nicht nur die arabischen Machthaber, die mit einer zeitweise Abschaltung das Internet stören, sondern vor allem die „Big 4“ Amazon, Google, Facebook und Apple, die durch ihre Pläne die Netzstruktur der 1990er wieder aufleben lassen wollen. Damals sorgten Kataloge wie AOL und Web.de dafür, dass das Internet überhaupt durchschaubarer wurde und in Chat-Räumen zwangen strenge Moderatoren ihr Zepter.
Dadurch, dass die „Big 4“ nun anfangen, in den Geschäftsfeldern der Konkurrenten zu wildern (Amazon greift Google mit dem Silk-Browser an, Google gräbt Apple mit dem Android-Betriebssystem das Wasser ab usw.) droht die Gefahr großer Monopole. Diese waren niemals gut für die Entwicklung und vor allem der Stern sowie Gruner+Jahr können ein Lied davon singen, was passiert, wenn vermeintlich nicht genehme Inhalte bei iTunes und Co. erscheinen sollen – nichts! Dennoch ist nicht auszuschließen, dass diese „Walled Gardens“ – die sehr an die heile AOL-Welt erinnern – aufgrund fauler oder indifferenter User doch noch Realität werden.
Andererseits, sind sie nicht schon längst Realität geworden? Meine Songs von iTunes, mein Internet-Tagebuch dank der neuen Timeline bei Facebook, meine Blogbeiträge in den Suchergebnissen von Google und alle meine Einkäufe bei Amazon. Wer auf diese Welt keine Lust hat, wird nicht umhin kommen, sich in die manchmal uncool anmutende Welt der Nerds, Geeks und Hacker zu begeben. Dort gibt es fitte Digital Natives, die abseits der Internetautobahnen tolle Ideen haben oder konkret Hilfe leisten. Erst wenn wir das Internet als Chance und nicht mehr als Bedrohung auffassen, wird es uns gelingen, das Netz der Zukunft wahr werden zu lassen!