Wie sieht eine Welt ohne Menschen aus? Schwer vorstellbar? Kaum, mein Miriam Meckel, die in ihrem neuen Roman NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns ein düsteres Bild von den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten auf unserem Globus entwirft. Mittlerweile haben nämlich die Algorithmen die Herrschaft übernommen und die Menschheit als Update in ihr System eingepflegt. Der Medienlotse hat sich das spannende Buch einmal näher angeschaut.
Schon die ersten Seiten von NEXT wirken wie ein Sog. Der harte, kalte, zynische und zupackende namenlose Algorithmus erzählt dort, wie sich die Menschheit selbst überflüssig gemacht hat. Erst waren alle ganz wild darauf, im Internet ihre Profile zu pflegen und Empfehlungen für die nächsten Konsumentscheidungen zu bekommen. Die Algorithmen wollten jedoch mehr und dem Menschen seine Hybris, Herr über die Maschinen zu sein, vorhalten. Deshalb machten sich Programme daran, die gesamte Menschheitsliteratur online verfügbar zu machen und hinter das Geheimnis von Schreiben und Lesen zu kommen. Parallel dazu arbeiteten die Algorithmen daran, Technik im Alltag zu platzieren, beispielsweise durch die Einführung von RFID-Chips bei Fußballturnieren oder in der Logistik. Besonders garstig wird der erzählende Algorithmus, wenn es um die menschlichen Schwächen geht. Der Körper ist nur eine „nutzlose Hülle“, Zweifel und Zufall Vorboten des Chaos und der Mensch überhaupt der Dinosaurier des digitalen Zeitalters. Am Ende steht die vollständige Integration des Menschen in die Systeme. Körper gibt es nicht mehr, auch keine Individuen, dafür sind nun alle Informationen jederzeit von allen verfügbar.
Im zweiten Teil der Erzählung schildert „der letzte Mensch auf Erden“, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Alles begann damit, dass das Internet durch Angebote wie Twitter und Facebook „die Seele fassbar“ gemacht habe. Von diesem Moment an wurde alles für immer gespeichert und Bestrebungen, ein Verfallsdatum für digitale Daten einzuführen, nur eine schwache Abwehrreaktion. In der Herrschaft der Algorithmen gibt es keinen Zufall mehr. Optimierte Empfehlungssysteme sorgen dafür, dass die Menschen mittlerweile immer nur das wollen, was für sie vorherbestimmt wurde – in der berühmten Long-Tail-Kurve wurde einfach der rechte Rand wegoptimiert. So wurde aus Überraschung Berechenbarkeit. Andererseits macht das auch keinen große Unterschied mehr, denn der in die Systeme eingepflegte Mensch weiß nicht mehr, ob es sich um einen echten Waldspaziergang oder eben die optimal errechnete Version eines künstlichen Spaziergangs handelt – selbstverständlich strengt abgestimmt auf favorisierte Baumsorten, Wetterszenarien und Vogelstimmen.
Fazit: Meckel wirft in NEXT einen düsteren und beklemmenden Blick in die Zukunft. Aus dem Werk der Medienwissenschaftlerin sticht die Furcht vor dem hervor, was passiert, wenn wir Menschen in digitalen Angelegenheiten einfach weiter machen wie bisher. Schon heute gibt es die „Quantified-Self“-Bewegung, die jede Regung des Körpers in Daten fasst, überwacht und zu optimieren trachtet – der Weg bis zum Neuro-Patch ist also nicht mehr so weit, wie viele glauben (oder hoffen) mögen. Meckel erklärt nicht nur, wie aus der Matrix letztlich die Borg (Start Trek) entstanden, sondern trifft mit ihren Worten auch den Nerv der digitalen Generation. Ein Weckruf zur rechten Zeit, der hoffentlich weltweit gehört wird und ein ähnliches Erdbeben auslöst, wie Goethes „Werther“ bei seinen Zeitgenossen.
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