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Was ich vom Internet gelernt habe

FaceTweet it!

Zugegeben, ich habe lange überlegen müssen, was ich nun vom Internet gelernt habe. Qua meiner Ausbildung war ich zunächst dazu verleitet, einen tiefgründigen historischen Rückblick auf die Zeit vor dem massenhaften Durchbruch des Internet – spätestens also, als Boris Becker „drin“ war – zu verfassen. Natürlich wären die gesellschaftlichen, sozialen, technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in dieser Darstellung nicht zu kurz gekommen. Doch als ich mal wieder mit meiner Schwester über Facebook chattete und sie mir freudig mitteilte, nach ihrem Au-Pair-Jahr in Frankreich an ihrem neuen Wohnort eine Sprachpartnerin gefunden zu haben, ging ich wie selbstverständlich davon aus, dass das übers Internet geschehen sein musste. Stattdessen hatte sie einen etwas altertümlichen Weg gewählt und war zunächst einem Aushang in der Uni gefolgt, ehe sie dann beim Fachsprachenzentrum vor verschlossener Tür stand. Einige Anrufe später wurden dann die Daten und Wünsche meiner Schwester auch von einer freundlichen Halbtagskraft aufgenommen. Und nach nur einem halben Dutzend Wochen hatte sie endlich die passenden Sprachpartner gefunden und parliert seitdem zu elsässischer Küche perfekt Französisch.

Das Internet ist überall...

Mit dem Internet wäre das nicht passiert. Zumindest nicht so. Eine der größten Krisen unserer Zeit ist ja, dass wir uns nicht mehr verlieren oder verlaufen. Überall weisen Schilder den Weg, helfen Smartphones den nächsten Bankautomaten zu finden oder Navigationssysteme warnen vor Sackgassen und Umleitungen. Zugegeben, als meine Schwester von ihrem Erfolg erzählte, dachte ich zunächst an meinen ersten Tag an der Uni, als ich durch die langen Hallen stolperte und dann schließlich mit wildfremden Leuten zusammengewürfelt wurde, die später studienbegleitende Freunde wurden. Bis heute weiß ich allerdings nicht, ob ich überhaupt im richtigen Einführungsseminar gelandet bin – eine wahrlich märchenhafte und romantisch anmutende Vorstellung. Da ist das Internet heutzutage viel nüchterner: die richtige Plattform gewählt, ein fesches Posting, ein paar Klicks – und schon hätte ich genau die Menschen als Sprachpartner gefunden, die sich durch derlei Selbstdarstellung angezogen fühlen.

Das Internet ist aber alles andere als schlecht, auch wenn uns dass Politiker und alte Herren in Nadelstreifen immer wieder glaubhaft machen wollen. Emsige Besucher von Chats können zum Beispiel rasend schnell tippen (die Anbieter von „10-Finger-Schreibmaschine leicht gemacht“-DVDs bekommen schon feuchte Hände). Firmengründer, die zwar gut rechnen, ihr Logo aber nicht selbst designen wollen, klicken sich auf Plattformen einfach kostengünstig zum gewünschten Angebot durch und bezahlen per Kreditkarte. Studenten, die nach durchzechter Nacht lieber nicht zu Vorlesung gehen, schauen sich nach der Ausnüchterungs-Calzone in der Mensa den Professor dann auf dem heimischen Laptop noch einmal in Ruhe per Videostream an. Bundestagsmitglieder müssen auf „Abgeordnetenwatch“ zu Sachfragen Stellung nehmen und werden auch dort an ihrem Engagement und Glaubwürdigkeit gemessen. Paradoxerweise zeigt uns die Wissensmaschine Internet aber immer wieder, was wir alles nicht wissen. Mir als Historiker war es beispielsweise nicht geläufig, dass Deutschland 1917 versuchte, Mexiko in einen Krieg gegen die USA zu treiben, ehe ich einen Blick in das neue Buch von Ken Follett warf. Ein Klick zu Wikipedia (Liebe, noch verbleibende Geschichtsstudenten: das ist kein wissenschaftliches Arbeiten!) – und die Wissenslücke war für mich geschlossen. Ob ich die Antwort nun in einem Buch gelesen, im TV gesehen oder im Seminar gehört hatte, machte für mich keinen Unterschied.

Verlaufen und Verirren kann auch Spaß machen - heute leider viel zu selten!

Jeden Tag kommen neue Internetnutzer hinzu. Mit ihrem Enthusiasmus und ihrer Kreativität zeigen sie den mittlerweile schon alteingesessenen „Digital Natives“, wo Bartels seinen Most zu holen pflegt. Zu keinem Zeitpunkt jemals zuvor konnten nämlich Zehnjährige eine App kreieren, die sogleich den Spitzenplatz bei iTunes belegte und dem jungen Programmierer wohlmöglich obendrein den Studienplatz an einem angesehenen College sicherte. In Kombination mit den entschlackten Vorschriften zur Gründung einer Firma ist das Internet eine ideale Spielwiese für junge Start-Ups quer aus allen Branchen. Frühzeitige Transparenz – durch Blogs, Twitter und Facebook sichert Aufmerksamkeit und später idealerweise Kunden und Aufträge. Wer dieses Schauspiel zum ersten Mal verfolgt, mag vor lauter Staunen den Mund gar nicht mehr zu bekommen. Tröstlich ist jedoch, dass das Internet Wissbegierigen Tools und Programme an die Hand gibt, um ihres eigenen Glückes Schmied zu werden. Von daher ist das weltweite Netz steter Ansporn, im Lernen nicht nachzulassen und ständig nach Perfektion zu streben.

Was habt ihr / Sie vom Netz gelernt? Der Medienlotse freut sich auf Antworten, Kommentare und weitere Postings.

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