Die Hansestadt Hamburg entwickelt sich immer mehr zur Facebook-Hauptstadt in Deutschland. Hier sitzt nicht nur das bislang einzige deutsche Vertriebsbüro des sozialen Netzwerkes aus den USA, denn auch immer mehr Facebook-Partys sorgen in der zweitgrößten Stadt der Bundesrepublik für immer hysterischere Schlagzeilen. Der Medienlotse analysiert die Fälle.
Thessa
Was als Scherz begann, endete für die mittlerweile 16-jährige Thessa in einem Alptraum. Vermutlich aus Unwissenheit hatte sie ihre Einladung zur Geburtstagsfeier bei Facebook öffentlich gemacht. Knapp 15.000 Party-Zusagen und etliche Nachahmerseiten sorgten im Juni für öffentliche Aufregung. Tagelang kannte die Presse kaum ein anderes Thema und ereiferte sich regelrecht mit Schaum vorm Mund über die Zusagen der Gäste. Letztlich sorgten knapp 1.000 „Besucher“ vor Thessas Zuhause in Bramfeld für ordentlich Wirbel, die Polizei war mit mehreren Hundert Beamten im Einsatz und nahm sechs Partygänger fest.
Viel schlimmer als das ausufernde Fest in der Wohngegend war jedoch die Blauäugigkeit, mit der Thessa im Internet agierte. Auch nachdem der Mediensturm losgebrochen war, bestätigte sie bei Facebook Freundschaftsanfragen wildfremder Leute. Auch wenig hilfreich waren sicherlich die Voreinstellungen des sozialen Netzwerkes beim Erstellen der Veranstaltungsseite. Passt der User nicht auf, werden automatisch alle Facebook-Nutzer eingeladen, eine Höchstteilnehmerzahl kann nicht festgelegt werden. Es bleibt zwar nur Spekulation, aber würden Öffentlichkeit und Bildungseinrichtungen den Kanon der Medienkompetenz ein wenig erweitern, wäre die ganze Angelegenheit vermutlich unaufgeregter verlaufen.
#hh_wg
Aber nicht nur Privatpersonen wie Thessa setzen bei Veranstaltungs-einladungen auf die Reichweite von Facebook, sondern auch Hamburg Marketing. Seit Mai suchen Senat und namhafte Unternehmen nach drei High Potential Digital Natives, die neben tollen Jobs auch noch für ein Jahr kostenlosen Wohnraum im Bermudadreieck Schanze-St. Pauli-Karoviertel bekommen sollen. Dafür müssen die Bewerber Videos auf der Seite von #hh_wg einstellen und zur Abstimmung freigeben. Das interessiert derzeit knapp 5.000 Facebook-Nutzer. Vermutlich zu wenig für Hamburg Marketing, deshalb wurde die Aktion „5000×5000“ ins Leben gerufen. Sollten bis Ende des Monats 5.000 neue Fans zustande kommen, wollte #hh_wg 5.000 Flaschen Bier für eine Party am Elbstrand spendieren.
Auch wenn sich der Enthusiasmus der Hamburger in Grenzen hielt (nur knapp 500 Zusagen nach drei Tagen), entfesselte sich in der Öffentlichkeit ein Sturm der Entrüstung. Die unvermeidlichen Vertreter von Polizeigewerkschaft und Bezirk entrüsteten sich in der Presse über den „Irrsinn“. Die Folge: Still und heimlich verschwand auch die Einladung bei Facebook, auf der offiziellen #hh_wg-Seite fehlt zudem jeder Hinweis. Dies lässt Spekulationen offen, ob Hamburg Marketing nicht einfach nur in besonders cleverer Weise das Sommerloch für sich genutzt hat. Organisator Thomas Kausch will sich für seine neuen Facebook-Freunde (knapp 800) nämlich eine neue Überraschung einfallen lassen…
HVV
Weitaus komplizierter ist der Fall bei den Hamburger Verkehrsbetrieben (HVV). Nach Ende der Sommerferien plant das Unternehmen, den Genuß von Alkohol in seinen S- und U-Bahnen zu verbieten. Einzige Ausnahme sollen die von Touristen so beliebten Hafenfähren bleiben. Nach einer Übergangsphase im September soll das Verbot dann ab Oktober greifen. Wie es der Zufall so will, ist der letzte Tag im September ausgerechnet ein Freitag und bei Facebook kursieren – natürlich – Aufrufe, „das letzte Bier in Freiheit“ zu genießen. 19.000 Leute hatten daraufhin Interesse, in der Ringlinie U3 gemeinsam zu feiern.
Mittlerweile hat der Initiator – wohl aus Angst vor Schadensersatzansprüchen – den Aufruf abgeändert, doch nun greift der sogenannte Streisand-Effekt. Benannt nach der US-Schauspielerin Barbra Streisand, beschreibt dieser den vergeblichen Versuch, eine Information zu unterdrücken, wenn sie sich einmal online befindet. Immerhin lässt der HVV nichts unversucht und verlängerte die Dauerbaustelle auf der U3 zwischen Mundsburg und dem Berliner Tor. So können die Feierwütigen nicht stundenlang durch den Hafen gondeln, sondern bequem von der Polizei und dem Ordnungsdienst „abgefischt“ werden…