Bei Trunkenheit kennt die deutsche Öffentlichkeit (fast) kein Pardon. Sportstars wie Jan Ulrich mussten dies erfahren, noch bevor ihre gesamte Dopingvergangenheit ans Licht kam. Neuestes Opfer: Die EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann, die mit 1,54 Promille über eine rote Ampel gerast war und nun von allen Ämtern zurücktrat.
Das Verhalten Käßmanns in den Tagen nach den ersten Schlagzeilen ist mit einer 3+ zu bewerten. Schnell ging sie mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit und gab den Alkoholkonsum zu. Darüber hinaus schimmerte in den wenigen Zeilen so etwas wie echte Erschrockenheit über das eigene Tun auf, zumal die Bischöfin schon 2007 die durch Alkohol heraufbeschworenen Gefährdungen im Straßenverkehr in einem Interview gegeißelt hatte. Eine glatte Lüge war hingegen ihre Behauptung, nur ein Glas Wein getrunken zu haben. Der Schritt, nun von allen Ämtern zurückzutreten, ehrt Käßmann als Person und ist ein logischer Schritt aus der Schwere des Vergehens. Sie hat richtig erkannt, dass sie mit einer derartigen Belastung nicht mehr das Vorbild für Millionen von Menschen sein kann (vielleicht orientiert sich ja der eine oder andere Politiker daran…).
Übers Ziel hinausgeschossen sind aber wieder einmal die Medien in ihrer Berichterstattung. Galt Trunkenheit bei Personen des öffentlichen Lebens in der Vergangenheit als so etwas wie ein niedliches Markenzeichen (Harald Juhnke), spielten sich Berichte darüber auch oft auf den hinteren Seiten der Zeitungen ab. Anders aber der Fall Käßmann: Die EKD-Ratsvorsitzende hatte bereits vor einigen Wochen große Aufmerksamkeit erfahren, als sie den Bundeswehreinsatz in Afghanistan mit den Worten „Nichts ist gut in Afghanistan“ kommentiere. Lobten Kommentatoren in den Tagen danach noch ihren Willen, sich politisch zu positionieren, überwogen später die Verlautbarungen der Militärs, die den sinnvollen Denkanstoss als „hochmütiges Pauschalurteil“ abqualifizierten.
Vermutlich hatten Teile der Öffentlichkeit also noch eine Rechnung mit Käßmann offen. Die Trunkenheitsfahrt war das perfekte Vehikel und schnell wurden die Schlagzeilen immer größer. Standen zunächst nur die Fakten im Vordergrund, starteten die ARD-Tagesthemen am Montagabend das Halali und sinnierten über das „lautstarke Schweigen“ der Käßmann-Kritiker. Es kam, was kommen musste: Ähnlich wie im Fall Chartlotte Knobloch, verstärkte der mediale Druck die Dissonanzen innerhalb der EKD. Erstaunlich, dass das Gremium Käßmann dennoch die Entscheidung über das weitere Vorgehen freistellte und damit so etwas wie einen Rest von echter Verbandsautonomie demonstrierte.
Bei Berichten über den Islam rekurrieren die deutschen Medien nur zu gern auf die Rolle der Frau. Provokant formuliert: Wer die mediale Berichterstattung zu Käßmann und Knobloch analysiert, kommt nicht umhin festzustellen, dass der Gedanke der Gleichberechtigung noch nicht bei allen Redakteuren verfangen hat. Oder ist Deutschland in Wahrheit gar nicht bereit, zwei Frauen an der Spitze der größten Religionsgemeinschaften zu akzeptieren?