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Warum ich traurig bin, Fußballfan zu sein

Mittlerweile gehöre ich auch zu den Typen, die Samstags bei Sky lieber in die Röhre schauen, anstatt ins Stadion zu gehen. Die Gründe dafür sind vielfältig und nicht nur einfach mit Faulheit oder Alter zu erklären: so wohne ich beispielsweise nicht mehr in der Stadt meines Lieblingsvereins und auch der neue kleine Stammhalter zu Hause fordert entsprechende Aufmerksamkeit. Zumal der Präsident meines Lieblingsvereins keine Ahnung von Fußball hat und Fans eigentlich irgendwie auch ziemlich blöd findet.

Es war einmal…(Bild Oliver Vosshage ov-pics.com)

Nun sitze ich also am Wochenende vor dem Fernseher (natürlich nur im Winter; im Sommer geht es an die frische Luft und natürlich immer auch dann, wenn es in Hamburg nicht regnet) und schaue mit dem quengelnden Nachwuchs zunächst die herrlich beruhigenden Golf-Übertragungen. Fast immer rauscht dort das Grün der Blätter oder es ist gar ein zaghaftes Vogel-Zwitschern zu vernehmen – selbst dann, wenn nebenan wie bei den Indian Open in New Delhi der Verkehr die Anlage umspült.

Irgendwann beginnt dann auch endlich wieder Fußball und bei mir setzt der Phantomschmerz ein. Meinem Verein halte ich seit 1985 unerschütterlich die Treue – viel länger als zu meiner Frau – und es schmerzt, nicht mehr Student zu sein und nach einer durchzechten Nacht erst zur zweiten Halbzeit im Stehblock wieder richtig klar zu werden. Fahre ich mittlerweile zu einem Spiel, gleicht das mehr einem Event. Alles wird vorab groß geplant, man verabredet sich mit Freunden und Familie; das Spiel rückt in den Hintergrund.

Das ist eigentlich eine gute Sache, denn ich bin ein Vertreter der aufbrausenden Art. Schon bei meinem ersten Stadionbesuch im Alter von nur sieben Jahren beschimpfte ich den Schiedsrichter als stark pigmentiertes Borstenvieh, sodass ich das Spielende auf Verdikt meiner Eltern nicht mehr erlebte. Mittlerweile kann ich selbst himmelschreiendes Unrecht wie parteiische Schiedsrichter, dusselige Eigentore und feiernde Gästefans halbwegs ertragen: ist nicht geil, muss aber. Außerdem hat man ja schon einiges über die Existenz von Murphy’s Law gelernt, vulgo: viel auf den Fußballplätzen dieser Republik gesehen.

Die superemotionalen Momente waren bei meiner Lieblingstruppe schon immer ein wenig rar gesät. Das ist auch in Ordnung, denn genauso ist das Leben: nicht immer Sonnenschein und oft einfach nur bewölkt. Deshalb waren auch die europäischen Abende eine tolle Erfahrung: mein Team kombinierte sich plötzlich auf engstem Raum über den Rasen, der Mittelstürmer netzte gleich die erste richtig dicke Chance ein und auch danach wurde jeder noch so nichtige Zweikampf gewonnen. Und auf den Rängen? Da war es so richtig stimmungsvoll. Zum ersten Mal in meinem langen Fanleben sah ich Choreos, die sich durchs gesamte Stadion zogen. Das machte mich irgendwie stolz, Teil einer besonderen Gemeinschaft zu sein.

Ich wusste schon damals, dass ich diese Zeit unbedingt genießen musste, denn hoffen, dass daraus ein Dauerzustand würde, konnte man mit der ganzen Historie im Kopf irgendwie dann doch nicht. Aber der Alltag, der danach kam, war grauer als jemals zuvor. Und das kam so: Mein Verein schickte sich an, den seit 2006 schleichend begonnenen Prozess eines kompletten Austausches der Stadionklientel wieder maßlos zu befeuern. Erst beschimpfte der Präsident die eigenen Fans, dann wurden Absprachen getroffen und wieder vergessen, kollektive Strafen verhängt und letztlich das Recht gebeugt. Ich will das alles gar nicht kommentieren, das steht anderswo schon viel besser und detaillierter.

Von mir dazu nur eins: Ich bin traurig, wenn wir grimpig spielen und es einfach nicht hinbekommen. Ich bin traurig, wenn ich auf Sky Fans anderer Vereine nach einem späten Tor wie ein Vulkan explodieren sehe. Ich bin traurig, wenn in anderen Stadien lautstarke Anfeuerungsrufe zu vernehmen sind. Ich bin traurig, wenn außer Form befindliche Spieler meinen, die eigene Kurve anfeuern zu müssen. Ich bin traurig, dass in meinem Stadion die Bundeswehr Werbung machen darf. Ich bin traurig, dass beim Foto für das kicker-Jahresheft die Bande gegen Rassismus verhängt wird. Ich bin mittlerweile traurig, ein Fan von Hannover 96 zu sein.

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